„Für sie ist ein Lächeln wie eine Fremdsprache“
„Diversität. Im Unternehmen Auticon lösen Autisten sehr erfolgreich die IT-Probleme großer Firmen“
so begann der Artikel am 18.06.2020 in der Günzburger Zeitung. Auf Seite 10 schreibt Daniel Weber über die Firma Auticon und deren Mitarbeiter mit Autismus. Ich wurde neugierig.
Herr Weber berichtet, dass der „Autistic Pride Day“ uns daran erinnern soll, dass Autismus keine Krankheit ist, die man wegtherapieren kann. Autismus ist eine Art die Welt auf eine andere Weise wahrzunehmen.
Weiter berichtet er über die Firma Auticon und verweist auf eine Aktion der Firma Auticon auf ihrer Facebookseite www.facebook.com/auticon zum „Autistic Pride Day“. Dort finden Sie auch den Artikel von Daniel Weber. Ich kann ihn nur empfehlen ihn in original zu lesen!
Hier hat offensichtlich eine Firma erkannt, dass Menschen mit Autismus eine mathematisch, analytische Begabung haben können. Sie können sich sehr gut konzentrieren, und lernen in diesem Bereich schnell.
Manche Autisten studieren, aber für manche ist das einfach nicht möglich, weil ihnen ihre Sicht der Welt und der Umgang mit ihren Mitmenschen im Weg stehen. Dennoch können sie im IT-Bereich Höchstleitungen vollbringen. Sie haben die Begabung Softwarefehler schnell zu finden, offensichtlich müssen sie nicht lange suchen.
Die Firma Auticon hat für sehr anspruchsvolle Aufgaben im IT-Bereich Mitarbeiter mit Autismus eingestellt. Das Unternehmen schätzt die Fähigkeiten und fragt nicht nach Abschlüssen.
Die Mitarbeiter werden von Coaches begleitet, die wissen, dass Autisten ein Arbeitsumfeld brauchen, das ruhig ist und möglichst keine Ablenkung bietet. Auch brauchen sie einen gewissen sachlichen Umgang. Wenn das Umfeld passt und die Kommunikation, dann bringen die Mitarbeiter mit ihrer anderen Sicht auf das Leben Höchstleistung.
Für das Unternehmen Auticon sind diese Mitarbeiter offensichtlich ein großer Gewinn.
Als Jobcoach lernte ich leider auch die Vorbehalte gegenüber Menschen mit Autismus kennen. Für viele Menschen scheint Autismus noch immer eine Art der Lernschwäche zu sein, die man kaum therapieren kann. Das gesamte Verhalten gilt als Vermittlungshemmnis.
Zugegeben, es braucht ein bisschen Zeit und vor allem Offenheit, um mit einem Autisten in Kontakt zu kommen.
Als ich zum ersten Mal einem Menschen mit Autismus, genau gesagt dem Asperger-Syndrom begegnete, da dachte ich zuerst auch, dass ist doch irgendwie ein komischer Kauz.
Bei diesem Vorgespräch erfuhr ich von der Diagnose Asperger-Syndrom. Deshalb beschäftigte ich mich bis zum nächsten Termin intensiv mit dem Thema Autismus.
Dann stand da Herr X wieder vor mir. Ich merkte wie ich geradezu auf die typischen Verhaltensweisen wartete. Und Herr X bestätigte sie wie im Lehrbuch. Er war zurückhaltend, ja geradezu abweisend.
Ich fing einfach an mit ihm zu reden. Nun wusste ich wenigstens theoretisch, dass ein Autist sich meiner Sicht der Welt nicht einfach anpassen kann. Deshalb versuchte ich es mit seiner Perspektive. Es funktionierte.
Es entstand ein Gespräch, das vor allem sachlich informativ war, aber auch Herrn X und mir ein Lachen entlockte. Wir hatten eine Gesprächsebene auf Augenhöhe gefunden. Es waren meine ersten Erfahrungen mit Autisten und es war für mich eine sehr bereichernde Erfahrung.
Ich begegnete noch weiteren Menschen mit Autismus bzw. dem Asperger-Syndrom und lernte ganz praktisch, dass Autismus sich sehr unterschiedlich zeigt. Fachdeutsch, es gibt unterschiedliche Symptome sehr unterschiedlich ausgeprägt. Und es gibt Autisten mit so genannten Inselbegabungen.
Also mal ganz einfach ausgedrückt, man hat erst den Eindruck, der Mensch ist nicht von dieser Welt und dann gibt es da aber ein Talent, das dieser Mensch hervorragend beherrscht.
Also nicht durchschnittlich, sondern hervorragend! Oft im Bereich Mathematik und Informatik. Sie können sich hervorragend auf eine Sache konzentrieren, denken analytisch und schematisch.
Mein erster Kontakt Herr X hatte offensichtlich keine Inselbegabung? Im Laufe des Coachings zeigte sich jedoch, Herr X hat durchaus Begabungen.
Jedoch wurde bisher nur auf seine Defizite geschaut. Kein Schulabschluss, keine Ausbildung und Jobs nicht angetreten oder schnell wieder verloren. Warum das so war, wurde nicht beachtet.
In der Jobvermittlung habe ich als Coach oder möglicher Arbeitgeber zwei Möglichkeiten, entweder ich werfe gleich das Handtuch, weil es anstrengend werden könnte oder ich beschäftige mich mit meinem Gegenüber. Ich habe mich für die Herausforderung entschieden…
Schade nur, dass im Allgemeinen erst einmal die Abschlüsse eines Bewerbers Beachtung finden, sind diese nicht vorhanden, dann wird nach einzelnen Fähigkeiten erst gar nicht geschaut.
Genau so ging es Herrn X. Er wurde auf eine Schule für Kinder mit Lernbehinderung geschickt. Danach stand das Thema Beruf und selbstständig Geld verdienen nie im Raum. Sein Umfeld bestätigte ihm immer wieder, dass er mit Autismus nichts beständig zustande bringt.
Unwissenheit und damit Unsicherheit im Umgang mit Autismus ist im privaten wie im beruflichen Umfeld leider oft der Grund.
Schade für Herrn X und schade für die Gesellschaft.Herr X hat resigniert, weil er der Ansicht ist, dass er zu dumm sei etwas zu lernen. Herr X ist bereits 50+ und machte sein ganzes Leben überwiegend die Erfahrung, dass Menschen mit Autismus nicht in diese Gesellschaft passen.
Mir ist bewusst, dass Unternehmen effektiv und effizient sein müssen, aber schließt das Diversität aus? Menschen können und sollen ein Leben lang lernen, aber sie sind nicht programmierbar wie ein Computer oder reparierbar wie eine Maschine.
Diversität bedeutet doch, dass die Verschiedenheit der Menschen wertgeschätzt wird. Ich gebe jedenfalls die Hoffnung nicht auf, dass nicht nur Abschlüsse, sondern auch einzelne Fähigkeiten wieder viel mehr wertgeschätzt und gefördert werden.
Autisten gehören zu einer Minderheit und werden daher wohl noch oft übersehen oder eher nicht gehört. Anscheinend sind nur ca. zehn Prozent der Menschen mit Austismus in einer Festanstellung.
Aber es sollte nicht relevant sein, ob der einzelne Mensch zu einer Minderheit oder zur Mehrheit gehört. Denn letztendlich ist das immer eine Frage der Perspektive des Betrachters.
Und ich freue mich, dass ich immer wieder Unternehmern begegne, die es wagen Menschen einzustellen, die nicht zwingend perfekte Abschlüsse haben und somit nicht in allgemeine Schublade passen, sondern genau die Begabung mitbringen, die das Unternehmen braucht.
Diversität im Unternehmen ist nur möglich, wenn Jobcoaches, Bewerber und Unternehmer sich nicht nur an Abschlüssen eines Bewerbers, einer Bewerberin orientieren, sondern auch an den Fähigkeiten und den konkreten Bedürfnissen des Unternehmens.
Wenn darüber offen und klar kommuniziert wird, finden Bewerber einen Job und Unternehmer einen für sie passenden Mitarbeiter.
Auch im Privatleben ist Diversität relevant. Schauen Sie sich um in Ihrem Umfeld. Vielleicht gibt es da auch einen Menschen mit Autismus. Man muss kein Coach oder Psychologe sein, um mit einem Autisten in Kontakt zu kommen.
Es sind Menschen, die eben eine andere Sicht auf das Leben haben. „Ein Lächeln ist für sie wie eine Fremdsprache“ So schrieb es Herr Weber in seinem Artikel in der Günzburger Zeitung am„Autistic Pride Day“. Lernen Sie die Übersetzung und Sie kommen in Kontakt…